Grundsätzlich, wenn auch widerwillig, muss ich ihr recht geben, der Romanfigur von Yasmina Reza, die in Eine Verzweiflung vor allem eines tut: Austeilen. Und zwar gegen den eigenen Sohn, der naturgemäß nicht zu Wort kommen kann, denn Eine Verzweiflung ist ein einziger innerer Monolog, eine Art imaginiertes Zwiegespräch, das Samuel mit seinem abwesenden Sohn führt. Als Ausgangspunkt des Vater-Sohn-Zerwürfnisses wählt Yasmina Reza ein Thema, das treuen LeserInnen der französischen Schriftstellerin bekannt sein dürfte: Glück. Die einen haben es, die anderen nicht. Samuel hat es nicht, und, das ist für Eine Verzweiflung viel wichtiger: Er will es auch gar nicht. Denn Glücklichsein bedeutet für Samuel Trägheit und Angepasstheit, die Loslösung von aller Leidenschaft, die Vermeidung jeglichen Kampfes und Schmerzes, denn „aus welcher Substanz besteht ein Mensch, der sich von seinen Wunden befreit hat?“
Welcher Sohn aber will schon wie sein Vater sein? So scheint sich auch Samuels missratener Spross von ihm abgewandt zu haben auf der Suche nach dem Pfad zur Glückseligkeit: „Das Interessante daran ist,“ so Samuel, „dass ich nicht etwa einen harten Kerl aus dir gemacht habe, sondern im Gegenteil ein willenloses Weichei. […] In der schlaffen Perversität deiner Trägheit sehe ich Gleichgültigkeit und vielleicht ein bisschen freundliche Nachsicht.“ Der Sohn wird in den Augen Samuels zu einem „Aktivist des Glücks“ und Zielscheibe einer 134 seitenlangen Litanei eines verbitterten Misanthropen, der das Glück zu seinem Feind erklärt, wohl wissend, dass er es für sein Unglück braucht, wie die Luft zum Atmen.
Samuel gehört nicht zu jenen, die in ihrem Unglück resignieren, das Glück aber will er nicht erreichen, „[...] wer einmal die Aktion geschmeckt hat, die Tat, fürchtet die Erfüllung, denn es gibt nichts Traurigeres, Farbloseres als das, was verwirklicht ist.“ Es sind solche Sätze, die einen den Bleistift zücken lassen; solche Sätze gehören markiert. Und je mehr ich Samuels Assoziationen, Zeit- und Gedankensprüngen folge, desto stärker kommt Yasmina Reza zum Vorschein, die Verteidigern des Unglücks, die in vielen ihrer Werke (und Interviews) die Glücklichen als träge Optimisten und verblendete Langweiler beschreibt, in der Literatur wie auch im echten Leben gleichermaßen uninteressant. Doch genau diese Komplizenschaft Rezas mit all ihren trübseligen Protagonisten wird in dem Roman Eine Verzweiflung zum Problem. Reza hält es nicht für notwendig der Figur Samuel einen Antagonisten vor die Nase zu setzen, warum auch, das Glück ist ja eh blöd, da braucht es auch keinen dusseligen Hans-Guck-in-die Luft, der Samuel schläfrig Widerworte entgegen säuselt. Und so wählt sie als Form den inneren Monolog, der nur die Perspektive Samuels zulässt, eine Ein-Mann-Show voller Wut und Verzweiflung, die jedoch, je länger sie dauert, umso ...nun ja …nervtötender wird. Es gibt kaum Entwicklung in Samuels Denken, keine äußeren Reibungspunkte, die Samuel dazu zwängen, auch mit sich selbst gnadenlos ins Gericht zu gehen. Anlass dazu gäbe es genug: Wer die Glücklichen so hasst, der beneidet sie. Wer so überheblich über andere urteilt, ist zutiefst verunsichert. Doch Reza verleiht ihrer Figur keinerlei Fähigkeit zur Selbstreflexion, obschon Samuel intelligent genug wäre, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Doch er tut es nicht. Zwar zitiert er immer wieder mal seine Frau, die den glückssuchenden Sohn, ja das Glück an sich zu verteidigen sucht, doch diese Einwürfe prallen an Samuels starrem Weltbild folgenlos ab. Auf den letzten Seiten dann scheint Samuel endlich die Puste auszugehen und er fabuliert darüber, was er sich wirklich von seinem Sohn wünscht: „Er soll mich in die Arme nehmen, er soll zu mir sagen, komm Papa ich nehme dich mit […] um in Mombasa zu lachen mit deinem Sohn, der so blöd ist wie die Italiener in Chandolin vor vierzig Jahren, Papa, ich werde dein Grab schrubben, wie du das deines Vaters geschrubbt hast, […] und hör auf, dich allein zu fühlen, ich werde dich tragen, wenn Du willst […].“ Das wäre wohl der richtige Zeitpunkt, um Mitleid für den alten, einsamen Tropf Samuel zu empfinden, doch Reza hat es im Laufe des Romans geschafft, ihr Anliegen ad absurdum zu führen: Das von ihr so diskreditierte Glück, dieser antriebslose und willenlose Zustand erscheint angesichts des wehleidigen Samuels auf einmal äußerst verheißungsvoll. Und so hinterlässt die Lektüre vor allem eins: Eine verzweifelte Leserin.
Yasmina Reza: Eine Verzweiflung Übersetzt aus dem Französischen von Eugen Helmlé Hanser Verlag Erscheinungsdatum: 19.09.2001 134 Seiten ISBN 978-3-446-25722-1
Grundsätzlich, wenn auch widerwillig, muss ich ihr recht geben, der Romanfigur von Yasmina Reza, die in Eine Verzweiflung vor allem eines tut: Austeilen. Und zwar gegen den eigenen Sohn, der naturgemäß nicht zu Wort kommen kann, denn Eine Verzweiflung ist ein einziger innerer Monolog, eine Art imaginiertes Zwiegespräch, das Samuel mit seinem abwesenden Sohn führt. Als Ausgangspunkt des Vater-Sohn-Zerwürfnisses wählt Yasmina Reza ein Thema, das treuen LeserInnen der französischen Schriftstellerin bekannt sein dürfte: Glück. Die einen haben es, die anderen nicht. Samuel hat es nicht, und, das ist für Eine Verzweiflung viel wichtiger: Er will es auch gar nicht. Denn Glücklichsein bedeutet für Samuel Trägheit und Angepasstheit, die Loslösung von aller Leidenschaft, die Vermeidung jeglichen Kampfes und Schmerzes, denn „aus welcher Substanz besteht ein Mensch, der sich von seinen Wunden befreit hat?“
Welcher Sohn aber will schon wie sein Vater sein? So scheint sich auch Samuels missratener Spross von ihm abgewandt zu haben auf der Suche nach dem Pfad zur Glückseligkeit: „Das Interessante daran ist,“ so Samuel, „dass ich nicht etwa einen harten Kerl aus dir gemacht habe, sondern im Gegenteil ein willenloses Weichei. […] In der schlaffen Perversität deiner Trägheit sehe ich Gleichgültigkeit und vielleicht ein bisschen freundliche Nachsicht.“ Der Sohn wird in den Augen Samuels zu einem „Aktivist des Glücks“ und Zielscheibe einer 134 seitenlangen Litanei eines verbitterten Misanthropen, der das Glück zu seinem Feind erklärt, wohl wissend, dass er es für sein Unglück braucht, wie die Luft zum Atmen.
Samuel gehört nicht zu jenen, die in ihrem Unglück resignieren, das Glück aber will er nicht erreichen, „[...] wer einmal die Aktion geschmeckt hat, die Tat, fürchtet die Erfüllung, denn es gibt nichts Traurigeres, Farbloseres als das, was verwirklicht ist.“ Es sind solche Sätze, die einen den Bleistift zücken lassen; solche Sätze gehören markiert. Und je mehr ich Samuels Assoziationen, Zeit- und Gedankensprüngen folge, desto stärker kommt Yasmina Reza zum Vorschein, die Verteidigern des Unglücks, die in vielen ihrer Werke (und Interviews) die Glücklichen als träge Optimisten und verblendete Langweiler beschreibt, in der Literatur wie auch im echten Leben gleichermaßen uninteressant. Doch genau diese Komplizenschaft Rezas mit all ihren trübseligen Protagonisten wird in dem Roman Eine Verzweiflung zum Problem. Reza hält es nicht für notwendig der Figur Samuel einen Antagonisten vor die Nase zu setzen, warum auch, das Glück ist ja eh blöd, da braucht es auch keinen dusseligen Hans-Guck-in-die Luft, der Samuel schläfrig Widerworte entgegen säuselt. Und so wählt sie als Form den inneren Monolog, der nur die Perspektive Samuels zulässt, eine Ein-Mann-Show voller Wut und Verzweiflung, die jedoch, je länger sie dauert, umso ...nun ja …nervtötender wird. Es gibt kaum Entwicklung in Samuels Denken, keine äußeren Reibungspunkte, die Samuel dazu zwängen, auch mit sich selbst gnadenlos ins Gericht zu gehen. Anlass dazu gäbe es genug: Wer die Glücklichen so hasst, der beneidet sie. Wer so überheblich über andere urteilt, ist zutiefst verunsichert. Doch Reza verleiht ihrer Figur keinerlei Fähigkeit zur Selbstreflexion, obschon Samuel intelligent genug wäre, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Doch er tut es nicht. Zwar zitiert er immer wieder mal seine Frau, die den glückssuchenden Sohn, ja das Glück an sich zu verteidigen sucht, doch diese Einwürfe prallen an Samuels starrem Weltbild folgenlos ab. Auf den letzten Seiten dann scheint Samuel endlich die Puste auszugehen und er fabuliert darüber, was er sich wirklich von seinem Sohn wünscht: „Er soll mich in die Arme nehmen, er soll zu mir sagen, komm Papa ich nehme dich mit […] um in Mombasa zu lachen mit deinem Sohn, der so blöd ist wie die Italiener in Chandolin vor vierzig Jahren, Papa, ich werde dein Grab schrubben, wie du das deines Vaters geschrubbt hast, […] und hör auf, dich allein zu fühlen, ich werde dich tragen, wenn Du willst […].“
Das wäre wohl der richtige Zeitpunkt, um Mitleid für den alten, einsamen Tropf Samuel zu empfinden, doch Reza hat es im Laufe des Romans geschafft, ihr Anliegen ad absurdum zu führen: Das von ihr so diskreditierte Glück, dieser antriebslose und willenlose Zustand erscheint angesichts des wehleidigen Samuels auf einmal äußerst verheißungsvoll.
Und so hinterlässt die Lektüre vor allem eins: Eine verzweifelte Leserin.
Yasmina Reza: Eine Verzweiflung
Übersetzt aus dem Französischen von Eugen Helmlé
Hanser Verlag
Erscheinungsdatum: 19.09.2001
134 Seiten
ISBN 978-3-446-25722-1